Der Bewegungssinn

3. Der Bewegungssinn

Mit dem Bewegungs-Sinn ist es dem Menschen möglich einerseits den zeitlichen Verlauf einer Bewegung zu beeinflussen und andererseits auch das räumliche Verhältnis der Bewegungen und Stellungen der verschiedenen Glieder oder Partien unseres Körpers zueinander zu steuern. Damit werden also sowohl Tempo als auch Intensität der Bewegung bestimmt. Auer nennt drei verschiedene Rezeptoren, welche die Bewegungswahrnehmung ermöglichen: Erstens gibt es in den Gelenken Mechanorezeptoren, die auf Haltungsänderungen reagieren. Zweitens sind die so genannten Muskelspindeln wichtig, welche in unterschiedlicher Anzahl in allen Muskeln vorkommen und die Ausdehnung und das Zusammenziehen der Muskeln registrieren. Drittens sind in den Sehnen noch Golgi-Organe zu finden, welche die Spannung der Sehnen erkennen. Aus all diesen Einzeldaten dieser Rezeptoren wird eine komplexe Bewegungswahrnehmung zusammengefügt, welche den kompletten Bewegungsablauf umfasst, und eine sinnvolle Bewegung überhaupt erst möglich macht.

Um eine Erfahrung des Eigenbewegungs-Sinnes zu machen, kann also davon ausgegangen werden, dass der Mensch sich einerseits bewegen kann und ihm andererseits diese Bewegung auch bewusst ist. Auer beschreibt hierzu einen Versuch, bei dem man herausgefunden hat, dass nicht jede kleine körperliche Bewegung in jeder Einzelheit geplant werden muss, wenn man von dem Bewegungsziel ausgeht. Das bedeutet nichts anderes, als dass Bewegung vom Ziel her gesteuert wird, also durch die mentale Vorstellung davon mit der Bewegung schon am Ziel angekommen zu sein.

Soesman ist sogar der Ansicht, dass diese Gedanken zu dem jeweiligen Lebensplan eines Menschen führen, zu der einen großen Bewegung, die ein Mensch von seiner Geburt an bis zu seinem Tode macht.

Wie aber entwickelt sich die Bewegungsfähigkeit eines Kindes, um anschließend zu einem allumfassenden Lebensplan eines Menschen zu werden? Auer meint dazu, dass die Bewegung an sich eine Grundfähigkeit des Menschen ist, welche zwar von Beginn an vorhanden ist, trotzdem aber erlernt werden muss. Einem Neugeborenen stehen drei Möglichkeiten der Bewegung offen. Erstens das Strampeln mit den Armen und den Beinen, was noch unkoordiniert ist, und nur in etwas heftiger und etwas weniger heftig zu differenzieren ist. Zweitens bestehen beim Kind auch Reflexbewegungen, wie das Saugen, wenn seine Lippen berührt werden. Die so genannten Stell- und Haltungsreflexe, wie der Moro–Reflex, der als Schreckreaktion auftritt, gehören auch dazu. Drittens hat das Neugeborene noch die Möglichkeit der Imitation, speziell wenn es um den Gesichtsausdruck eines Erwachsenen um ihn herum geht. Bei den aufgezählten Bewegungsformen handelt es sich in erster Linie um reflexhafte Bewegungen, welche noch keiner bewussten Führung unterliegen. Diese reflexhaften Bewegungsformen müssen im Laufe der Entwicklung eines Kleinkindes zugunsten einer willentlich geführten Bewegung verschwinden oder in dieser vollkommen integriert werden. Auer unterscheidet dabei zwischen zwei unterschiedlichen Arten des Lernens einer Bewegung. Erstens durch Experimentieren und Wiederholen und zweitens durch das Lernen am Vorbild.

Hat das Kind nicht ausreichend Möglichkeit seinen Bewegungs-Sinn zu schulen, können in weiterer Folge schwere Defizite auftreten, da sich die Entwicklung der Bewegungsabläufe vom Kopf abwärts, über den Rumpf zu den Armen und Beinen bzw. von der Grobmotorik hin zur Feinmotorik fortsetzt. Selbst die Sprachmotorik wird von einer guten Schulung des Kindes in seiner Bewegungswahrnehmung beeinflusst. Heutzutage weiß man durch die moderne Gehirnforschung, dass zwischen den kognitiven Fähigkeiten eines Menschen und dessen körperlicher Bewegungsfähigkeit ein Zusammenhang besteht. Gedächtnisleistungen, wie Vorstellungs- und Abstraktionsvermögen, die Fähigkeit zu lernen und aufmerksam zu sein, stehen in enger Beziehung zur körperlichen Beweglichkeit, was bedeutet, dass innere und äußere Beweglichkeit mit einander verwoben sind.

Auer teilt die Bewegungsfähigkeit eines Menschen in vier Kategorien ein. Erstens nennt er die Beweglichkeit, zweitens schreibt er von der Fähigkeit sich mit jemanden oder etwas mit bewegen zu können, drittens führt er die Geschicklichkeit an, und viertens beschreibt Auer die Bewegung als Ausdruck, die ein Mensch benötigt, um anderen Menschen seine Gefühle und seine Bedürfnisse mitzuteilen. Eine suboptimale Entwicklung der Bewegungsfähigkeit kann mit einer Reihe von Einschränkungen, die Lebensqualität betreffend, einhergehen.

Fehlt einem Menschen in seinem Leben die Beweglichkeit, dann mangelt es ihm an Bewegungssicherheit und lässt ihn innerlich sowie äußerlich steif erscheinen. Das kann ein Defizit an Selbstbewusstsein zur Folge haben. Ist die Fähigkeit sich mit etwas zu bewegen, also seinen eigenen Rhythmus auf einen externen Rhythmus einstellen zu können zu wenig entwickelt, kann das zu unsicherem Auftreten, schreckhaftem Verhalten und dem Gefühl, sich den ständig ändernden und unvorhergesehenen Anforderungen nicht gewachsen fühlen, führen.

Gelingt die Entwicklung dieser Bewegungsfähigkeit aber, wird das Kind die Fertigkeit erwerben, sich in einen Gesprächs- oder Arbeitsprozess einzufügen, mit anderen Menschen mitzudenken und empathisch umgehen zu können und sich beweglich auf alle Veränderungen der Umwelt einlassen zu können. Unter anderem kann diese spezielle Kategorie im Umgang mit Tieren, vor allem mit Pferden, und im Reiten geübt und erworben werden.

Wenn die Geschicklichkeit nicht gut erlernt wurde, also die Fähigkeit, die eigenen Bewegungen ganz auf das benutzte Werkzeug einzustellen, sich an die äußeren Bedingungen anzupassen und sich einzufügen, kann sich das in der Unfähigkeit auf andere Rücksicht zu nehmen und mit der vorhandenen Situation umzugehen auswirken. Hierbei mangelt es an der nötigen Sensibilität, was Unsicherheit und mangelndes Selbstvertrauen zur Folge hat.

Schaut man sich schließlich die letzte Kategorie, die Bewegung als Ausdruck an, kann man Folgendes erkennen. Ist diese Fähigkeit nicht, oder schlecht entwickelt, können Gefühle also nicht unmittelbar ausgedrückt werden, kann dies in weiterer Folge dazu führen, dass auch die Sprachentwicklung und die Kommunikation darunter leiden. Abgesehen davon, wird auch das Verhalten des Kindes in eine destruktive aggressive Richtung gelenkt.

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass Bewegungsfreiheit, und eine gute Ausbildung unseres Bewegungs-Sinnes zu persönlicher Freiheit verhilft, und uns das Gefühl gibt, dass unser Dasein einen Sinn hat.

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